Illustration

 

Elger Blühm

Johann Heinrich Zedler und sein Lexikon *

"Es hat der Kön. Preußl. Commissions- und Commercien-Rath, Joh. Heinrich Zedler alhier, unter Käyserl. und Königl. vorangesetzten privilegiis, den ersten Theil von einem Werck drucken lassen, welches in XII. Folianten bestehen solle und folgenden Namen führet: Großes vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste, welche bishero, durch menschlichen Verstand und Fleiß erfunden oder verbessert worden, nebst einer Vorrede, von der Einrichtung dieses mühesamen und weitläuftigten Werckes, des Cantzlers von Ludewig. Mit hoher Potentaten allergnädigsten privilegiis. Halle 1732 f. Es ist dasselbe ietziger Käyserl. Majestät zugeschrieben und Dero Bildniß in Kupfer vorangesetzet. Das Werck selbsten brauchet keinen Vorspruch. Dann da andere Real-Lexicons in Einer Wissenschaft verbleiben; so fasset dieses alle Wissenschaften zusammen."

So las man es 1731 im 3. Jahrgang der "Wöchentlichen Hallischen Anzeigen" [1]. Der Mann, der solchermaßen vor 230 Jahren das Erscheinen des "Zedler" bekanntgab, war eben der Verfasser der Lexicon-Vorrede, Johann Peter von Ludewig; und daß er, der hochberühmte Rechtsgelehrte und Historiker und Kanzler der neuen, so ruhmvoll aufstrebenden Universität Halle, dem angezeigten Werke die Ehre eines Vorworts hatte zuteilwerden lassen, das allein mußte schon die Aufmerksamkeit der gebildeten Zeitgenossen wecken. Aber nicht mindere Beachtung mußte der Titel dieses Werkes hervorrufen. Pompös, weitläufig und vielversprechend gaben sich die gelehrten Bücher jener Zeit gewiß nicht selten, doch Titelformulierung und Titelinhalt des vorgestellten Lexikons, dazu sein angekündigter Umfang, verhießen etwas Neues und Besonderes. Die sich steigernden Beiwörter "groß, vollständig, universal" sprangen ins Auge und waren kühn und selbstbewußt genug, hochgespannte Neugier anzulocken. Welch ein Wagemut trat hier zutage! Ludewig war sich des Wag-

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nisses bewußt. Seine "Vorrede über das Universal-Lexicon" - auf 16 Folioseiten des 1. Bandes, Halle, den 30. Sept. 1731 - beginnt: "Es unternimmt der Verleger dieses Universal-Lexici ein Werck / daran noch kein anderer / weder in Teutschland, noch außerhalb in andern Reichen und Staaten, sich wagen dürfen."

Aber Ludewig erkannte neben dem Wagnis auch die Bedeutung, die bleibende Bedeutung dieses Lexikons; deshalb beendete er seine Vorrede mit der zweifelsfreien Voraussage, daß es "Hochachtung, Ehre und Nutzen erlangen, schaffen und unvergänglich behalten werde". Er hat sich darin nicht geirrt. Weit über den geplanten Umfang hinausgewachsen, stand das gewaltige Werk nach zwei Jahrzehnten mit seinen 64 Foliobänden als die größte und bedeutendste Enzyklopädie deutscher Sprache im 18. Jahrhundert zur Verfügung, ein Zeugnis buchhändlerischer Tatkraft, ein großer Spiegel des Wissens einer Epoche, eine Quelle der Unterrichtung, aus der Zeitgenossen wie Nachkommende schöpften. Es ist bis heute das umfangreichste unter den abgeschlossenen deutschen Lexika. Daß die Mitlebenden schon während des Erscheinens das Universal-Lexicon als hilfreiches Nachschlagewerk benutzten, erscheint natürlich. Ein kleines Beispiel mag dies veranschaulichen: der junge Konrektor an der Lateinschule des altmärkischen Städtchens Seehausen las in einzelnen Bänden, die ihm ein Pastor des Landes leihweise übersandte, entnahm ihm genealogische Tabellen und legte sich Exzerpte historischen Inhalts an, um sie beim Unterricht adliger Pensionäre zu verwenden, um seine eigenen geschichtlichen Studien zu fördern [2] [2a]. Winckelmann kannte das Lexikon gewiß schon vor seiner Seehausener "Knechtschaft" (1743-1748); denn es wird ihm während seiner Hallischen Studienjahre (1738-1740) begegnet sein, sicherlich wohl an ihrem Ende, als er damit beschäftigt war, die große Bibliothek seines Universitätskanzlers Ludewig zu ordnen.

Wie Winckelmann, so werden in jener Zeit viele das hilfreiche und belehrende Werk zur Hand genommen haben. Aber auch später, noch in unseren und gewiß noch in zukünftigen Tagen dient es der Wissenschaft. Es ist veraltet, wirkt auf uns heute vielfach absonderlich, ja skurril und abgeschmackt, aber schlägt man die Handbücher der Gelehrsamkeit auf, vor

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allem die historischen Inhalts, wirft man einen Blick in die Register geschichtlicher, biographischer, kulturkundlicher, literarischer Darstellungen, so wird man häufig auf den Namen dieses großen Lexikons stoßen, und zumeist wird man an Stelle des Werktitels den Namen seines Verlegers finden, mit dem es eins geworden ist, den Namen Johann Heinrich Zedlers.

Der Verlegername wurde zum Begriff - eine hohe Ehre in der Buchgeschichte. Daß dem Verleger der Ruhm zukomme, für das Werk zu stehen, davon war schon Ludewig überzeugt. Er wies, wie wir sahen, zu Beginn seiner Vorrede auf ihn als den Unternehmenden, Wagenden hin. Ihm gebühre "als Anfänger und Urheber" des Werkes "die Ehre und der Vorzug davon", und am Ende der Vorrede, als er Namen und Titel des Verlegers genannt, wünscht er ihm "von Hertzen": "Daß er in seinen besten Jahren, worinnen er stehet, Muth, Sinnen, Kräfte und Gesundheit behalten möge", und wünscht ihm auch (und tut es nicht grundlos), "von diesem Universal-Lexicon das erwünschte leidige Geld zu sehen".

"Der Zedler" ist bekannt. Von dem Manne aber, dessen Namen wir nennen, wenn wir sein Lexikon meinen, wissen wir wenig. Die Bücher, die er herausgebracht hat, dazu Aktenstücke der ehemaligen Leipziger Bücherkommission, geben uns Auskunft über seine Tätigkeit, vermitteln uns Einblicke in seine Geschäftsführung. Einige Lebensumstände erzählt uns der Artikel, der ihm im 61. Bande des Universal-Lexicons - 1749, 14 Jahre vor seinem Tode - gewidmet ist. Dieser Artikel ist die wichtigste und ausführlichste Nachricht, die wir über Zedler besitzen. Sein Verfasser bemüht sich nach Kräften, die Verdienste des Herrn Kommerzienrats hervorzuheben, doch seine Angaben über Leben und Wirksamkeit des Gewürdigten sind zu knapp gehalten, um ein gerundetes Bild entstehen zu lassen. Über den Menschen, die Persönlichkeit, den Charakter erfahren wir so gut wie nichts. Wir müssen uns auf Vermutungen und auf mittelbare Schlüsse, die wir aus seinem Wirken herleiten, stützen, wenn wir uns eine Vorstellung von ihm zu bilden wünschen. Vielleicht ruht noch das eine und andere Schriftstück von ihm oder über ihn in den Archiven. Es wäre wünschenswert, das Leben Zedlers, seine bestimmenden und formenden Kräfte sichtbarer und faßlicher vor Augen zu haben, als es uns möglich ist, denn mit den Schicksalen eines einzelnen lernen wir zugleich seine Zeit kennen, eine Biographie trägt dazu bei, eine Epoche zu verstehen. Dieser Unternehmer des 18. Jahrhunderts hat als Buchhändler und Verleger von Rang eine Aufgabe geleistet, die nicht vergessen werden sollte, wenn wir der deutschen Aufklärung gedenken. An Johann

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Heinrich Zedler zu erinnern, dies - und mehr nicht - soll hier getan werden.

Breslau, "das Auge Schlesiens", war sein Geburtsort, sein "Vaterland" [3]. Am 7. Januar 1706 kam er zur Welt. "Weil er von Jugend auf eine besondere Neigung zur Buchhandlung bezeiget", heißt es im Zedler-Artikel des Universal-Lexicons, "so wurde er, nachdem er die zu seinem Endzwecke erforderlichen Wissenschafften unter Anweisung geschickter Lehrmeister und vermöge seines fähigen Kopffes, gar frühzeitig gefasset, in die Brachvogelsche Handlung in seiner Vaterstadt gethan". Über seine Herkunft und sein Elternhaus hören wir nichts, auch nichts über seine Schulbildung. Ein Gymnasium wird er wohl nicht besucht haben.

Als er eine "ziemliche Geschicklichkeit erlangt" hatte, verließ er die Heimat, um in der Fremde das Gelernte zu vervollkommnen. Er ging nach Hamburg. Was ihn veranlassen mochte, den weiten Weg zur fernen Hansestadt einzuschlagen, wissen wir nicht, doch die Tatsache, daß Zedler nicht der einzige Breslauer war, der als Buchhändler in Hamburg sein Glück zu machen suchte, ist auffallend genug und scheint mehr als Zufall zu sein. So trat Christian Herold (um 1703 in Breslau geboren) als Besitzer von J. C. Kißners Buchhandlung in Hamburg auf; den von seinem Vorgänger begonnenen Verlag von Weichmanns "Poesie der Niedersachsen" hat er fortgeführt. Johann Carl Bohn (1712 in Breslau geboren) machte sich verdient als Verleger Hagedorns und Klopstocks [4]. Für Zedler blieb Hamburg eine Zwischenstation. Hier, im Dienste des geachteten Verlegers Theodor Christoph Felginer (1686-1726) [5], lernte er den Buchhandel größeren Stils und den Vertrieb bedeutender wissenschaftlicher Werke kennen, doch konnte oder wollte er in Hamburg nicht seßhaft werden. Aber auch zur Vaterstadt zog es ihn nicht zurück, obwohl man ihn von Breslau, wie es im Lexikonartikel heißt, mit "vorteilhafften Versprechungen" zur Rückkehr ermuntert hatte. "Allein die göttliche Vorsehung hatte ihm Sachsen als seinen künfftigen Auffenthalt ersehen." Er

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kam nach Freiberg. "Mit glücklichem Erfolg" gründete er dort eine eigene Buchhandlung. Er heiratete: die Tochter des Kaufmanns Johann Friedrich Richter wurde seine Frau, der Verleger David Richter sein Schwager.

Doch Freiberg war nicht der rechte Ort für den jungen, ehrgeizigen Buchhändler, der als seine Aufgabe die "Verlegung großer Wercke" erkannt hatte. Lebens- und Wirkungskreis müssen ihm hier bald zu eng geworden sein; es zog ihn fort von der Peripherie. So tat er, 1727, den Schritt ins Zentrum, nach Leipzig. Hatten ihm Breslau, Hamburg und Freiberg nicht die Möglichkeiten geboten, Bedeutendes zu leisten, wie er es sich vorgenommen hatte, so mußte ihm die große sächsische Messestadt, die, Frankfurt überflügelnd, zum Hauptort des deutschen Büchermarkts aufgestiegen war, als der günstigste Platz erscheinen, "theils wegen der ungleich grösseren Anzahl berühmter Gelehrter daselbst, theils wegen der vielen schönen Druckereyen", wie der Lexikonartikel erläutert. Aber Leipzig war für einen Anfänger auch eine Höhle des Löwen, denn die Vielzahl der ansässigen Buchhandlungen bedeutete Konkurrenz, die großen, einflußreichen Verleger - das Dreigestirn Weidmann, Gleditsch und Fritsch vor allem - waren bedacht auf den Rang und die Macht, die sie errungen hatten, und es gehörte schon ein gerüttelt Maß jugendlichen Tatendrangs dazu, es mit ihnen aufnehmen zu wollen. Zedler besaß ihn. Er hatte kaufmännische Phantasie und organisatorisches Talent. Einiges Kapital, so scheint es, war ihm durch seine Heirat zugekommen, sein Schwager stand ihm als finanzieller Helfer zur Verfügung.

Zedlers Aufstieg als Verleger in Leipzig erfolgte rasch. Es genügten ihm wenige Jahre, um sich Ruf, Ehrungen und Titel zu erwerben. Der Preis, den er - bald genug - dafür zahlen mußte, waren heftige und langwierige rechtliche Hader, geschäftliche Kämpfe, finanzielle Sorgen. Unter ihrer Last ist er frühzeitig müde geworden.

Ein Zug zum Großen, ja Kolossalischen, muß ihm eigen gewesen sein. So war bereits das erste Werk von Bedeutung, das er in Leipzig herausbrachte, ein gewaltiges Unternehmen: Luthers Werke - die deutschen Schriften und Übersetzungen - in 22 Folianten (Breitkopf lieferte 1740 noch als 23. Band das Register), die von der Lutherforschung sogenannte "Leipziger Ausgabe" (1729-1734) [6]. Nach dem Willen ihres Herausgebers, des Leipziger Professors Johann Gottlieb Pfeiffer, bestimmt, dem "Gift des Pietismi und Rationalismi" entgegenzuwirken, fand diese

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Lutherausgabe die Förderung der sächsischen Regierung, die allen "dazu vermögenden" kirchlichen Ärare den Kauf nahelegte. Herzog Christian von Sachsen-Weißenfels belohnte Zedler, der ihm einen Band als Geburtstagsgabe persönlich überreichte, mit dem Kommerzienratstitel. Rühmend verzeichnet der Lexikonartikel, daß Zedler durch diese Ausgabe "der gantzen Evangelisch-Lutherischen Kirche einen gantz besonderen Dienst gethan" habe. Aber so verdienstvoll seine Leistung auch erscheinen mochte, und so erstaunlich sie als das Erstlingswerk eines jungen Verlegers war, so deutlich zeigten sich hier bereits Mängel und Schwächen der Zedlerschen Produktion überhaupt. Der Druck nämlich war in einer derartigen Hast vorangetrieben worden, daß nicht nur der Text sich mit Fehlern füllte, sondern auch der Verfasser der Einleitungen, Christian Friedrich Börner, dem Tempo nur bis zum 16. Bande zu folgen vermochte. Freilich erblickte v. Ludewig gerade in der Schnelligkeit, mit der Zedler die Werke Luthers herausbrachte, einen Beweis für sein Vermögen, auch ein riesiges Werk wie das Universal-Lexicon zu seinem Abschluß zu führen [7].

Noch war der Druck von Luthers Schriften im vollen Gange, als Zedler beim Oberkonsistorium, der kursächsischen Regierung, in Dresden eine Eingabe zur Erlangung eines Privilegs für sein Universal-Lexicon einreichte, daß das zur Ostermesse 1731 angekündigte Werk vor Nachdruck schützen sollte [8]. Bezeichnet das Datum dieser Eingabe, der 13. September 1730, den Beginn eines denkwürdigen Abschnittes deutscher Bildungsgeschichte im 18. Jahrhundert, so setzte mit ihm zugleich ein bewegtes Kapitel in der Geschichte des deutschen Buchhandels ein. Ein Höhepunkt zusammenfassenden, enzyklopädischen Bemühens einer nach allseitiger Wissenschaftsvermittlung verlangenden, zu umfassender Aufgeklärtheit strebenden Zeit kündigte sich an, aber der Weg zu ihm sollte steinig und windungsreich verlaufen, mußten doch die Hindernisse widerstrebender Interessen umgangen oder überwunden werden.

Es ist auffallend, welch breiten Raum lexikalische Werke seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts auf dem deutschen Büchermarkt einnehmen [9], aber es ist kein Zufall. Mit der alten Zeit war das allein für die gelehrte Welt

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bestimmte, in der Gelehrtensprache geschriebene enzyklopädische Schrifttum zu Ende gegangen; mit der Aufklärung kam die Geburtsstunde des weitere Kreise der Gebildeten ansprechenden, nationalsprachigen, alphabetischen Nachschlagewerks.

Neben der journalistischen Literatur - den Zeitungen, gelehrten und halbgelehrten Zeitschriften und moralischen Wochenschriften - wurde das Lexikon zu einem der wichtigsten Wissensvermittler, wobei Zeitung, Journal und Lexikon sich wechselseitig bedingten und förderten. Eine große "Veränderung" der "Studia" wurde deutlich, und schon den Zeitgenossen war neben dem Auftreten von "Journalen, Ephemeridibus, Monathlichen Schrifften, Extracten, davon alle Buch-laden angefüllet" waren, das Erscheinen von "vielen Lexicis, so ... fast in allen Künsten und Wissenschaften das Tages-Licht gesehen", ein Beweis für den neuen Zug [10]. Was die Lexica betreffe, schrieb 1718 der Verfasser einer "Gründlichen Nachricht von den Frantzösischen, Lateinischen und Deutschen Journalen"; so hätten diesen Beweis gebracht: "der berühmte Polyhistor Herr D. Buddeus in der Vorrede seines allgemeinen Historischen LEXICI, und der gelehrte, fleißige und beliebte Herr Hübner in der Praefation seines Zeitungs-LEXICI".

Das "Allgemeine Historische Lexicon" war 1700 angezeigt, 1709 im Verlage Thomas Fritsch zu Leipzig herausgekommen [11]. Es war eine Übersetzung des "Grand Dictionaire historique", eines sehr verbreiteten und bis über die Mitte des 18. Jahrhunderts immer wieder vermehrten Nachschlagewerks. Mit ihm hatte sein Verfasser, der Abbé Louis Moréri, 1674 die Reihe der nationalsprachigen Lexika historischer, biographischer, geographischer Prägung eingeführt. Die deutsche Fassung von 1709 verwertete die Berichtigungen Bayles (1695-1697) und fügte eine ganze Reihe eigener, den deutschen Bereich behandelnde Ergänzungen hinzu. 1730, als sein Herausgeber, der Jenaer Theologe Johann Buddeus (1667-1729), und sein Verleger, Thomas Fritsch (1666-1726), bereits verstorben waren, begann die 3. Auflage dieses Lexikons zu erscheinen (- 1732), im gleichen Jahre also, in dem Zedler sein Universal-Lexicon ankündigte.

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Das "Reale Staats- und Zeitungs-Lexicon", verfaßt von Philipp Balthasar Sinold von Schütz (1657-1742), und nach dem Verfasser der Vorrede, Johann Hübner, zitiert, kam 1704, fünf Jahre vor dem "Allgemeinen Historischen Lexicon" in Leipzig bei Johann Friedrich Gleditsch (1653 bis 1716), dem Stiefvater Thomas Fritschs, heraus. Es wollte "denen Gelehrten und Ungelehrten" die "in Zeitungen und täglicher Conversation" vorkommenden "aus allerhand Sprachen bestehende Termini Artis" erklären, war demnach zum praktischen Gebrauch breiterer Kreise bestimmt. Es wurde das erfolgreichste deutsche Lexikon des 18. Jahrhunderts (81. Auflage 1821-28), Keimzelle und Namensgeber unserer Konversationslexika.

Eine Flut lexikalischer Bücher folgte diesen beiden bahnbrechenden Leipziger Wörterbüchern, historische, geographische, genealogische, ökonomische u. a. m. Erst im Hinblick auf die Vielzahl der vorhandenen allgemeineren und speziellen Lexika versteht man den Anspruch, den Zedlers "Großes vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste" in seinem Titel erhebt [12]. Gab es bisher, wie der Verfasser der "Gründlichen Nachricht" sagte, viele "Lexicis ... fast in allen Künsten und Wissenschafften", verblieben diese anderen "Real-Lexicons", nach v. Ludewigs Zedleranzeige, "in Einer Wissenschafft", so wollte das Universal-Lexicon die Erkenntnisse aller menschlichen Wissensbereiche vereinen, und folgerichtig konnte der Hallische Kanzler ankündigen, daß man darin 22 Lexika beisammen antreffen werde, nämlich "ein 1) biblisches 2) theologisches 3) juristisches 4) medicinisches 5) philosophisches 6) mathematisches 7) Staats 8) Zeitungs 9) Kauff- und Handels 10) Handwercks 11) Haushaltungs und Wirtschafts 12) Alterthums 13) der Gelehrten 14) Berühmten 15) Heiligen 16) vornehmen Standes 17) Geschichts und Historisches 18) poetisches 19) geographisches 20) philologisches 21) Kunst und 22) Natur-Lexicon".

Es ist begreiflich, daß Zedlers Unterfangen auf die Verleger der "anderen Real-Lexicons" alarmierend wirken mußte. Würde der Absatz ihrer Bücher nicht gestört, ihre kleineren Werke durch das neue große und vereinigende nicht überflüssig gemacht? Zedler hatte in seinem Privilegienantrag vom 13. September 1730 zwar darauf hingewiesen, daß ein Lexikon wie das von ihm geplante in Deutschland noch niemals veröffentlicht worden sei und dadurch keinem anderen Verleger Schaden zugefügt werde. Aber als das Oberkonsistorium in Dresden bei der Bücherkommission, der Auf-

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sichts- und Zensurstelle in Leipzig, anfragen ließ, ob die in Betracht kommenden - bereits privilegierten - Verleger gegen Zedlers Unternehmen etwas vorzubringen hätten, wurde heftiger Widersprach unter diesen laut. Es begann ein jahrelanger Streit [13], den Zedler vor allem mit den Verlagen Fritsch und Gleditsch auszutragen hatte. Die Firma Thomas Fritsch Erben behauptete, daß Zedler bereits vorhandene Werke und besonders ihr "Allgemeines Historisches Lexicon" ausschreiben lasse und daß dadurch der mit großen finanziellen Aufwendungen erreichte Erfolg beeinträchtigt werde. Sie bat die Bücherkommission, einen Nachdruck der in ihrem Lexikon enthaltenen Historica zu verhindern und etwa schon gedruckte Bände zu konfiszieren. Bücherkommission und Oberkonsistorium schlossen sich den vorgebrachten Argumenten an, und am 12. Oktober 1730 befahl Dresden unter Strafandrohung, den Druck des Universal-Lexicons, sollte dieser etwas bringen, was Fritschs Lexikon bereits enthalte, zu verhindern. Aber Zedler leistete Widerstand. Er sah sich in seiner Existenz bedroht, denn er hatte das Universal-Lexicon, wie schon die Lutherausgabe, auf Subskriptionsgrundlage finanziert, war also verpflichtet, zu liefern oder das aufgenommene Geld, mit dem er bereits arbeitete, zurückzuzahlen. Er veranlaßte einige für ihn tätige Drucker in Leipzig, seine Sache bei der Bücherkommission zu verteidigen; er hielt in einer Anzeige der "Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen" vom 19. Oktober 1730 sein Versprechen aufrecht, das Lexikon zur angekündigten Zeit zu liefern, auch wenn Neider und Feinde ihn daran zu hindern suchten; er sicherte sich die Hilfe der juristischen Fakultät der Universität Halle (Ludewig!) und sandte am 9. November 1730 ein umfangreiches "Memorial" nach Dresden, das die Rechtlichkeit seines Lexikondruckes darlegen und erläutern sollte. Das Privileg gegen den Nachdruck, das Thomas Fritsch 1726 für sein historisches Lexikon erhalten habe, sei durch den Tod des Verlegers hinfällig geworden. Er bestritt, daß er Artikel aus dem Fritschschen Lexikon nachdrucke, man könne aber keinem Gelehrten verwehren, über die gleiche Sache zu schreiben, über die schon ein anderer etwas geschrieben hätte. Er habe niemals die Absicht gehabt, irgend jemandem zu schaden. Er wies darauf hin, daß er sein ganzes Kapital und das Geld der Subskribenten - 100 000 Reichstaler - in sein Unternehmen gesteckt habe.

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Er versprach eine zusätzliche Abgabe an die Rentkammer, falls seine Lexikonbände erscheinen dürften. Doch er beschränkte sich nicht auf das Verfassen von Denkschriften. Ausgestattet zwar nicht mit dem sächsischen, aber mit einem kaiserlichen und einem preußischen Privileg [14], begann er den Druck, und da er in Leipzig Schwierigkeiten hatte, wich er ins "ausländische" Halle aus. Hier, wo er seine juristischen Helfer und in Ludewig einen berühmten und einflußreichen Fürsprecher gefunden, übernahm Urban, der Drucker des Waisenhauses, die technischen Arbeiten. Von Halle und auch von Berlin aus, wo wahrscheinlich Christoph Gottlob Nicolai, Friedrich Nicolais Vater, sein Geschäftsführer war [15], konnte nun Zedler den Vertrieb des Lexikons ausgehen lassen. Er erreichte sogar - vielleicht durch Vermittlung des am Berliner Hofe geschätzten Ludewig -, daß sich die preußische Regierung in Dresden für ihn verwendete. Aber die Schwierigkeiten hörten nicht auf, denn nun protestierten seine Leipziger Gegner gegen den Absatz des Werkes in Sachsen und forderten nach wie vor, daß Zedler, als Leipziger Bürger, wegen Nachdrucks bestraft werde. Als Beweis reichte der Verlag Fritsch eine gedruckte Liste von Textstellen aus seinem und Zedlers Lexikon ein, die wörtliche oder gering veränderte Übereinstimmungen zeigten [16]. Auch beschwerte man sich darüber, daß Zedler trotz des Verbotes auch in Leipzig weiterdrucken lasse, was im Auftrag Urbans tatsächlich geschehen war. Eingaben, Gutachten, Nachfragen, Anordnungen, so ging es hin bis Ende 1734. Es blieb beim Verkaufsverbot für Kursachsen [17]; auch hatte Zedler im Mai 1732 eine verminderte Buße von 100 Talern gezahlt.

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Acht Bände des großen Werkes (bis zum Buchstaben E) lagen 1734 vor, sieben weitere (bis zum Buchstaben I) erschienen 1735, eine bewundernswerte Leistung von Verleger, Bearbeitern und Druckern. Aber Zedlers Kräfte waren in den Jahren der Schwierigkeiten und des Kampfes aufgezehrt worden. Das Drucken an verschiedenen Orten, die Honorarzahlungen und die Absatzhemmnisse hatten seine finanziellen Mittel erschöpft. Seine Kalkulation bei Beginn des Druckes, die nur auf zwölf Bände berechnet war, hatte sich als falsch herausgestellt. Auch wurde der Vertrieb des Lexikons nicht nur in Sachsen gestört. Der 1. Band, der wegen des Privilegienzwistes auf der Michaelismesse in Leipzig beschlagnahmt worden war und neu aufgelegt werden mußte, stieß in Zedlers Geburtsstadt aus anderer Ursache auf Widerstand. Dort beschloß am 7. Januar 1732 der Fürstentag auf Anregung der Regierung, "dem Verleger zu bedeuten, daß er, wenn er so fortfahre, 'skandalöse Dinge' anzuführen, er Unliebsames zu gewärtigen habe". Der Grund dieser und aller weiteren Maßnahmen war die Ansicht geistlicher Zensoren, daß sich im Universal-Lexicon "Schmähungen wider die katholische Religion" befänden. Man forderte Zedlers Geschäftspartner in Breslau, Georg Lange, auf, eine Liste der Abnehmer einzureichen, und ging so weit, anstößige Stellen im Lexikon durch neue, gereinigte Druckbögen zu ersetzen [18].

Zedler versuchte, das Unheil, das seine Handlung von allen Seiten bedrohte, abzuwenden. Er gab einen Teil seines Lagers zu Ramschpreisen ab, verpfändete Teile des Universal-Lexicons (so daß er selbst eines Tages kein vollständiges Exemplar mehr besass!), er kündigte - am 7. Mai 1735 - eine großangelegte und raffiniert geplante Bücherlotterie an, zu deren Hauptpreisen auch das Universal-Lexicon zählen sollte. Zeigte ein solches, für Leipzig offenbar neuartiges Unternehmen wiederum Zedlers Tatkraft und Wendigkeit, so trug es ihm nur neue Streitigkeiten und keinen Erfolg ein [19]. Im Frühjahr 1735 kam es zum Konkurs.

Es war das Verdienst von Zedlers Gläubigern, daß das Universal-Lexicon den finanziellen Zusammenbruch des Verlegers überstand. Sie schlossen

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sich zusammen und fanden Mittel und Weg, das begonnene Werk weiterzuführen und zum Abschluß zu bringen. Vor allem war dies dem Leipziger Kaufmann Johann Heinrich Wolf (geb. am 29. April 1690) zu danken, der "Ausarbeitung" und die "Bestreitung der Kosten" übernahm, nachdem Zedler, wie sich der Artikel über ihn ausdrückt, "die Ruhe den Handels-Geschäfften vorzuziehen sich entschlossen". In einem rühmenden und mit Segenswünschen versehenen Artikel (im 58. Band, 1748) setzte das Universal-Lexicon seinem neuen hilfreichen Förderer, dem "besonderen Liebhaber der Wissenschafften", ein Denkmal.

Die nun beginnende zweite Phase der Arbeit am "Zedler" verlief ungleich glücklicher als die stürmische erste. Das Privileg Thomas Fritschs für sein historisches Lexikon war 1736 erloschen, und als am 8. Februar 1738 der Curator honorum der Zedlerschen Gläubigergemeinschaft, der Notar Haake, in einer Eingabe um die Genehmigung zur Fortführung des Universal-Lexicons bat, erteilte das Oberkonsistorium in Dresden am 14. März 1738 dazu die Erlaubnis. Damit war nun endlich auch in Kursachsen der Weg geebnet, das größte Hemmnis beseitigt worden. Wie sehr sich die Verhältnisse zum Guten gewandelt hatten, zeigte sich schnell. Denn als der Buchdrucker Johann Ernst Schultze in Hof sich vornahm, das Unternehmen in seine Hand zu bringen, scheiterte er rasch [20]. Schultze, der wahrscheinlich an früheren Arbeiten für das Universal-Lexicon beteiligt gewesen war, druckte, Zedlers Einsprüche nicht achtend, die Bände 17 und 18 neu, fand in einem ehemaligen Mitarbeiter am "Zedler", dem Gymnasialrektor Paul Daniel Longolius [21], einen Helfer und erlangte ein neues kaiserliches Privileg; das alte, behauptete er, habe Zedler ihm 1735 abgetreten. Doch die Behörden in Leipzig und Dresden standen nun auf Seiten Zedlers, ein kaiserliches Privileg galt in Kursachsen nichts mehr, und als ein kaiserlicher Notar mit einem Schreiben des Frankfurter Bücherfiskal vom 23. September 1738 in Leipzig erschien, um dort die Belange Schultzes zu vertreten, wurde er vom Rat kurzerhand aus der Stadt gewiesen.

Zedlers Sache hatte sich durchgesetzt, Wert und Bedeutung des Universal-Lexicons waren anerkannt worden. Band auf Band erschien. Im schnellen Gleichmaß näherte sich die große Enzyklopädie ihrer Vollendung. Fast

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ein Vierteljahrhundert verging seit dem Erscheinen des ersten Bandes von Zedlers Universal-Lexicon. Friedrich August II. konnte den polnischen Thron besteigen; Maria Theresia und Friedrich II. traten die Regierung an; Breslau wurde preußisch; Johann Peter v. Ludewig, der maßgeblich an der rechtlichen Begründung des Anspruches Berlins auf Schlesien mitgearbeitet hatte, starb (1743); Gottsched errichtete in Leipzig sein Regiment; Lessings erste Lustspiele erschienen; Winckelmann wurde Bibliothekar des Grafen Bünau; Bach starb in Leipzig; in Dresden wurde die Hofkirche gebaut; der Siebenjährige Krieg wurde vorbereitet. Im Todesjahr Christian Wolffs, der 1740 im Triumph nach Halle zurückgekehrt war, wurde der letzte aller erschienenen Teile, der 4. Supplementband, ausgeliefert, 1754.

Ein Wechsel war nicht nur in der rechtlichen Lage und in der Finanzierung des Universal-Lexicons eingetreten. Seit dem 19. Band (1739) hatte Carl Günther Ludovici die redaktionelle Leitung übernommen. Mit drei Vorreden, im 19., im 21. und im 23. Bande, führte er sich als Leiter der "Direction" ein. Er stellte aufs neue die einmalige Bedeutung und den dauernden Nutzen des Werkes vor Augen, nannte Johann Heinrich Wolf als Finanzier und verdienstvollen Förderer des Unternehmens und bat Adel, Stadträte und gelehrte Gesellschaften um nützliches Material.

Die Organisation der redaktionellen Arbeiten war von Anfang an planvoll und weitblickend gewesen, nach Ludewigs Vorrede im 1. Band ein Verdienst Zedlers, dessen für das Lexikon so ersprießliche Folgen er nicht genug rühmen und weitläufig erläutern konnte. Zedler war den neuartigen Weg gegangen - der "vor Ihme ungebahnet gewesen" sei - eine Gruppe von Gelehrten, "nach Anzahl der IX Musen", zur Ausarbeitung der Artikel zu gewinnen, und zwar mit dem Auftrag, daß jeder von ihnen sein Fachgebiet zu betreuen habe, ein frühes Beispiel moderner Arbeitsweise an wissenschaftlichen Großunternehmen. Ludewig nannte die Namen der Bearbeiter nicht. Doch wissen wir, daß der 1733 verstorbene Jurist und Historiker Jakob August Franckenstein und Longolius zu ihnen gehörten. Auch Ludovici mag vor der Redaktionsübernahme an den Arbeiten beteiligt gewesen sein. Indem Zedler eine Reihe von Mitarbeitern beauftragte, vermied er einen Fehler Thomas Fritschs, der Buddeus allein mit der Arbeit am "Allgemeinen Historischen Lexicon" betraut hatte, was, als der eine Mann diese Aufgabe nicht mehr allein zu erfüllen vermochte, zur Übernahme von Teilen - von Buchstaben freilich, nicht von Sachgebieten - durch andere Gelehrte geführt und dadurch

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allerlei Ungleichheiten und Unstimmigkeiten ergeben hatte, auf die Ludewig mit Bedacht seinen Finger zu legen nicht unterließ [22]. Ein alter Plan Zedlers war es auch, den Ludovici in der Vorrede zum 21. Band wiederaufnahm: nämlich nach Fertigstellung der alphabetisch geordneten Bände eine umfassende, ein bis zwei Bände füllende systematische Darstellung aller Wissenschaften zu bringen. "Alle Künste und Wissenschaften sind Inbegriffe gewisser Wahrheiten", schrieb er. "Alle Wahrheiten haben eine sogenannte Verwandtschafft unter einander, daß immer die eine die andere bestätiget und erkläret". Ein rechter Gelehrter müsse nicht nur in seiner "Haupt-Wissenschafft", sondern auch in den übrigen "einigermassen bewandert" sein. Da jedoch Universitäten und Schulen bei der Aufgabe versagten, einen wahrhaft pansophischen Überblick über Größe und "Inbegriff" des Gesamtbaues der Wissenschaften zu vermitteln, man allein zu alten Werken seine Zuflucht nehmen müsse - etwa zu Alstedts "Encyclopaedia", die das Lob Leibniz' gefunden habe -, so werde durch die geplante "vollständige und accurate Encyclopädie" als Abschluß des Universal-Lexicons dieser Mangel behoben, sein Nutzen und seine Verdienste um das "Wachsthum der Wissenschaften" vermehrt werden.

Ist es auch nicht zur Ausführung dieses Planes gekommen, so wird doch deutlich, in welchem Maße der "Zedler" Ausdruck der geistigen Bestrebungen seiner Zeit gewesen ist. Man hat den "Zedler" einen "stolzen Barockbau" genannt [23], und gewiß trägt er neben der typographischen Aufmachung Züge barocker Gelehrsamkeit; doch nach Umfang des Gebotenen, nach Darstellung des Behandelten und nicht zuletzt seinen Zielen nach war er ein Kind der den Wissensbereich weitenden, aus der theologischen Bindung sich lösenden, fortschrittsbewußten, auf Bildung einer nicht mehr kleinen, gesonderten Schicht ausgehenden Frühaufklärung. Und das in ihrer deutschen Ausprägung, nicht allein wegen des Gebrauchs der deutschen Sprache und der nationalbewußten Gesinnung - Ludovicis Vorrede und mancher Lexikonartikel sind Muster dafür -, sondern ebensosehr wegen der verständigen, die gesellschaftlichen Schranken respektierenden, die überlieferten Vorstellungen maßvoll bewertenden, im wesentlichen historisch, nicht aktuell polemisch gehaltenen Artikeltexte.

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In Carl Günther Ludovici (1707-1778), dem Vollender des Universal-Lexicons, tritt uns ein Repräsentant dieser Zeit und ihrer geistigen Strömungen entgegen [24]. Er gehörte nicht zu den bahnbrechenden Persönlichkeiten der Epoche. Doch Herkunft und Bildungsgang, vielseitige Interessen und ausgedehnte wissenschaftliche Beziehungen sowie seine rezeptive, auf Sammlung und Archivalisierung eingestellte Begabung - er war Bibliothekar der Deutschen Gesellschaft, Archivar der Leipziger Universität und Aufseher des Kalenderwesens - machten ihn für die Aufgabe geeignet, die er als Leiter des Universal-Lexicons zu erfüllen hatte. Sein Vater, der aus dem schlesischen Landeshut stammende geachtete und wohlhabende Leipziger Theologe und Orientalist Christian Ludovici, war 1702 einer der Examinatoren des damals noch der Theologie beflissenen Christian Wolff gewesen, hatte diesem eine Pfarrstelle in der Nähe der Stadt zu vermitteln gesucht [25]. Der junge Gottsched hatte freundschaftlich in dem Elternhause verkehrt [26]. Im Jahre 1730, in dem der Vater zum zweitenmal das Rektorat übernahm und zum Ältesten der "polnischen Nation" gewählt wurde (und in dem Zedler seinen Privilegienantrag einreichte), trat Carl Günther Ludovici mit einer Arbeit über die Philosophie Leibniz' und Wolffs hervor; im gleichen Jahr wurde er Mitglied der "Deutschen Gesellschaft". 1733 durch königlich-kurfürstliche Gunstbezeigung früh zum Professor der Weltweisheit ernannt, erwarb er sich in den folgenden Jahren durch seine Entwürfe zu "vollständigen Historien" der Leibnizischen und Wolffischen Philosophie und als Sammler der Streitschriften "wegen der Wolfischen Philosophie" einen Namen als deren erster Geschichtsschreiber [27]. Mit seiner über den Nutzen eines philosophischen Wörterbuchs handelnden Vorrede zu Heinrich Adam Meissners Philosophischem Lexicon (1737), das auf der Grundlage von Wolffs deutschen Schriften gearbeitet war, beschritt er den Weg in seine eigentliche Sphäre, die der Lexikonarbeit [28].

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Auch im Bereich des "Zedlers" läßt sich die Verbindung Ludovicis mit dem Wirken Wolffs und Gottscheds erkennen. Eine Beschwerde der Zedlergegner bezeichnet das Lexikon als "unter der Direction des Commissions-Raths Rothers und Professor Gottscheds" stehend [29], und so ist es möglich, daß Gottsched, der später die deutsche Ausgabe von Bayles Dictionaire herausgab (1740-1745) [30], ein Vorgänger Ludovicis in der Stellung des Redaktionsleiters des "Zedler" war. Die ausführlichste Darstellung, die man im Universal-Lexicon finden kann, ist die über Christian Wolff und seine Philosophie. Von Spalte 549-677 im 58. Band (1748) wird sein Leben, in den Spalten 883-1232 seine Lehre behandelt. Dieser Umfang verdeutlicht die ungemeine Bedeutung und Wirkungskraft, die der große Philosoph aus Breslau zu seiner Zeit besaß. Es liegt nahe, den Wolffianer Ludovici als Verfasser anzusehen.

Als repräsentativer Ausdruck des enzyklopädischen Zeitalters auf deutschem Boden blieb Zedlers Universal-Lexicon spezifisch deutschen Bedingtheiten verhaftet. Es spiegelte die politischen, gesellschaftlichen und geistigen Verhältnisse des damaligen Deutschland wider, verfolgte jedoch nicht das Ziel, diese zu verändern. Es unterrichtete über die neuen philosophischen Ideen, ausführlich und sachlich, wie es seiner Art entsprach, doch einzig in dem Bestreben, die Gebildeten zu belehren, nicht mit der Absicht, durch die gewonnenen Erkenntnisse Rüstzeug zu politischem Kampfe, zu umwälzender gesellschaftlicher Kritik zu liefern. Es war aufklärerisch, verharrte aber, wie die gesamte deutsche Aufklärungsbewegung, wesentlich im geistigen Bereich. Die Impulse des aufklärerischen Denkens wirkten sich reformierend auf Staat und Gesellschaft aus, nicht revolutionierend. So wollte und konnte das Universal-Lexicon nicht mehr leisten, als es tat. Mag man darin seine Grenzen sehen, so liegt doch sein Wert, den es mit den übrigen älteren "fleißigen deutschen Lexika vom Inventartyp" teilt, in seiner "ursprünglichen Eigenschaft als Nachschlagewerk" [31] beschlossen.

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"Der Versuch, alle Erscheinungen der Alleinherrschaft des Verstandes zu unterwerfen, führte in Deutschland zu einer Sammlung und Erneuerung aller Fächer der Geistesbildung, in Frankreich zur großen Revolution" [32]. Als zur Jahrhundertmitte, 1750, der 64. Band das deutsche Universal-Lexicon (ohne die Supplemente) abschloß, kündigte ein Prospekt in Frankreich das Erscheinen der "Encyclopédie" Diderots und d'Alemberts an. Ein neues Zeitalter nicht nur der Lexikongeschichte begann. Johann Heinrich Zedler durfte den Abschluß des Lexikons noch erleben, das er vor zwei Jahrzehnten ins Leben gerufen hatte. Genugtuung sprach aus den Worten seiner Widmung des letzten Bandes. Woran "der meisste Theil der Menschen bishero gezweiffelt" habe, das, "was unmüglich geschienen": "eines der grössten Wercke, so jemahls gesehen worden", nun sei es endlich vollendet. Doch Zedler hatte sich zur Ruhe gesetzt. Von den Geschäften zurückgezogen, lebte er, wie es 1749 in dem ihm gewidmeten Artikel heißt, "die meiste Zeit des Sommers auf seinem Land-Gute zu Wolfshayn". Er unterließ es nicht, "durch nützliche Erfindungen denen Gelehrten, und durch kluge Rathschläge der Buchhandlung nützlich zu seyn". Die Spur seines Wirkens ist aber nur noch schattenhaft zu erkennen, verliert sich am Abend seines Lebens im Dunkeln. 1763 wird als sein Todesjahr angegeben [33]. Er soll noch große Werke begonnen oder geplant haben. Seinen "Nahmen verewiget" hat er durch sein Lexikon.

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Anmerkungen:

 [1] Johann Peter von Ludewigs ... Gelehrte Anzeigen, in alle Wissenschaften, so wol geistlichen als weltlichen, alter und neuer Sachen, welche vormals denen Wöchentlichen Hallischen Anzeigen einverleibet worden, Nunmehro aber zusammen gedrucket und mit einem vollständigen Register versehen. 1. Halle 1743. S. 290-92.
 [2] s. Johann Joachim Winckelmann: Briefe. In Verbind. mit Hans Diepolder hrsg. v. Walther Rehm. Bd. 1. Berlin 1952. S. 58 f. u. 80; Carl Justi: Winckelmann und seine Zeitgenossen. 4. Aufl. Bd. 1. Leipzig 1943. S. 145, 199 u. 203.
 [2a] Dem dänischen Dichter Johannes Ewald diente (1763) der "Zedler" bei der schnellen Abfassung einer Dissertation, s. Leopold Magon: Ein Jahrhundert geistiger und literarischer Beziehungen zwischen Deutschland und Skandinavien, 1750-1850. Bd. 1. Die Klopstockzeit in Dänemark. Johannes Ewald. Dortmund 1926. S. 134.
 [3] Zedler schreibt in der Widmung des 1. Bandes an das Kaiserpaar: "Ich habe von Geburth das Glücke, Ewr. Kai. Erb-Unterthan zu seyn, weil Breßlau, das Auge Schlesiens, mein Vaterland ist. Doch das Vergnügen darüber höret auch noch itzo nicht auf, nachdem mir das geseegnete Sachsen einen Auffenthalt angewiesen ..." Auch in späteren Widmungen erwähnt Zedler seine schlesische Herkunft, so im 23. Bd., 1740, in der Widmung an den Grafen Hans Anton Schaffgotsch u. im 34. Bd., 1742, in der Widmung an den Fürsten Hanns Carl Carolath.
 [4] s. J. M. Lappenberg: Zur Geschichte der Buchdruckerkunst in Hamburg. Hamburg 1840. S. LIV. - Aus Schlesien kam später auch Benjamin Gottlob Hofmann (1748 in Steinau geboren), der zusammen mit Franz August Gottlob Campe der bekannten Hamburger Verlagsfirma den Namen gab.
 [5] s. Lappenberg, S. LIII; ADB 18, 1883, S. 181.
 [6] S. B. W.: Die Gesamtausgaben der Werke Martin Luthers. In: Börsenblatt f. d. Dt. Buchhandel (Frankf. Ausg.) 9 (1953), S. 540, u. R. Jauernig: Die Gesamtausgaben der Werke Martin Luthers. Ebda 10 (1954), S. 705.
 [7] J. P. v. Ludewigs ... Gelehrte Anzeigen. 1. S. 291.
 [8] Am 24. Okt. 1730 kündigte Zedler der Bücherkommission bereits einen weiteren Verlagsplan an: seine "Allgemeine und vollständige Staats-, Kriegs- und Kirchen-Chronike". Sie erschien in 20 Folianten von 1733-1754. Mitarbeiter waren u. a. Jacob August Frankenstein und Carl Günther Ludovici. Über den Versuch eines Nachdrucks der Chronik s. Archiv f. Geschichte d. Dt. Buchhandels 15 (1898), S. 283 f.
 [9] s. Johann Goldfriedrich: Geschichte des Deutschen Buchhandels. 2. Leipzig 1908. S. 69-75.
 [10] s. Gründliche Nachricht von den Frantzösischen, Lateinischen und Deutschen Journalen, Ephemeridibus, Monatlichen Extracten, oder wie sie sonsten Nahmen haben mögen, Nach ihrem Anfang und Fortgang biß auf gegenwärtige Zeit, Allen Liebhabern der Journale zum besten, mit einem bescheidenen Judicio mitgetheilet von H. P. L. M. [d. i. Heinrich Ludwig Goetten]. Leipzig u. Gardeleben. 1718. S. 3 f.)
 [11] Vgl. Elger Blühm: Eine Buchanzeige aus dem Jahre 1700. Bemerkungen zu Thomas Fritschs "Allgemeinem Historischen Lexicon" als Beitrag zur Geistesgesch. d. dt. Aufklärung. In: Mitt. aus d. dt. Presseforschung zu Bremen. 1 (1960), S. 48-83.
 [12] Zum "Zedler" als Universallexikon im Gegensatz zu anderen Lexika s. Ludovicis Vorrede zum 19. Bd., 1739, S. 3.
 [13] Ausführlich berichtet darüber Fritz Juntke: Johann Heinrich Zedlers Großes vollständiges Universallexikon. Ein Beitr. z. Gesch. d. Nachdruckes in Mitteldeutschland. In: Fritz Juntke zu s. 70. Geb. am 3. Sept. 1956. Halle 1956 = Schriften z. Bibliotheks- u. Büchereiwesen Sachsen-Anhalts. 15/16. S. 13-32. - s. auch Albrecht Kirchhoff: Die kaiserlichen Bücher-Privilegien in Sachsen. In: Archiv f. Gesch. d. Dt. Buchhandels 15 (1892), S. 94-98. - Ludewig verteidigte Zedler gegen die Angriffe seiner Gegner in seiner Vorrede zum 1. Band des Lexikons.
 [14] 1731 wurde Zedler zum preußischen Kommerzienrat ernannt. Arn 27. 8. 1742 bestätigte ihn Friedrich II. in dieser Würde. Zedler widmete den 2. Band seines Lexikons (1732) Friedrich Wilhelm I. Er sagt darin, daß der König ihn als Untertan aufgenommen habe. Man kann nach seinen Worten vermuten, daß auch Hallische Gelehrte an der Lexikonarbeit beteiligt gewesen sind. In der Widmung des 25. Bandes (1740) an Friedrich II. nennt Zedler den verstorbenen Friedrich Wilhelm I. seine "stärkste Stütze"; der König habe die Angriffe seiner Feinde auf die Wohlfahrt seines Unternehmens "gedämpffet". Der 13. Band (1735) war bereits dem Kronprinzen Friedrich gewidmet, der als "Schutz-Gott und Beförderer" der Musen gepriesen wird. Der 1. Band von Zedlers Staatschronik (1733) war ebenfalls dem Kronprinzen gewidmet.
 [15] s. Archiv f. Geschichte d. Dt. Buchhandels 14 (1891), S. 217.
 [16] Daß der "Zedler" tatsächlich wörtliche Entlehnungen aus dem "Allgemeinen Historischen Lexicon" enthielt, dafür nur ein kleines Beispiel: über Friedrich von Logaus Sinngedichte heißt es im "Zedler", daß sie "zwar nach der damaligen Art etwas hart, aber von angenehmen Erfindungen sind". In der Vorlage: "Die verse an sich selbst sind zwar nach der damahligen art noch etwas hart / allein die angenehmen erfindungen ersetzen zur genüge /was den reimen an lieblichkeit abgehet." Im "Zedler" wird der Dichter wesentlich kürzer und summarischer abgehandelt als in Fritschs Lexikon.
 [17] Vgl. dazu auch Zedlers Widmung im 3. Band d. Universal-Lexicons (1733).
 [18] Alfred Rüffler: Die Pressezensur und Zedlers Universal-Lexicon im vorpreußischen Breslau. In: Schlesische Geschichtsbll. 1927, S. 63-66, hat solche Textveränderungen besonders klar an Exemplaren der späteren Bände 18, 1738, und 20, 1739, nachgewiesen. S. auch Colmar Grünhagen: Geschichte Schlesiens. 2. Gotha 1886. S. 414, u. Ders.: Friedrich der Grosse und die Breslauer in den Jahren 1740 und 1741. Breslau 1864. S. 11 f.
 [19] s. Albrecht Kirchhoff: Klagen und Mißstände im Anfang des 18. Jahrhunderts. - Vertrieb. 1. Eine Bücher-Lotterie im Jahre 1735. In: Archiv f. Gesch. d. Dt. Buchhandels 14 (1891), S. 197-208.
 [20] Darüber Juntke, S. 30-32.
 [21] über Longolius vgl. ADB 19, 1884, S. 156 f. - Nach Meusels Schriftstellerlexikon 8, 1808, S. 347 hatte er starken Anteil am Geographischen Reise-, Post- und Zeitungs-Lexicon von Teutschland. Jena 1756.
 [22] In seiner Besprechung des 3. Teils von Jöchers Gelehrtenlexikon (1751) wies auch Lessing auf das Fehlerhafte der aus dem "Allgemeinen Historischen Lexicon" übernommenen Angaben hin.
 [23] Ernst Herbert Lehmann: Geschichte des Konversationslexikons. Leipzig 1934. S. 21; ähnlich Gert A. Zischka: Index lexicorum. Bibliographie d. lexikal. Nachschlagewerke. Wien 1959. S. XXXIX.
 [24] über Ludewig s. Univ.-Lex. Bd. 18, 1738, Sp. 1005-08; Meusels Schriftstellerlexikon 8, 1808, S. 389-91.
 [25] s. Christian Wolffs eigene Lebensbeschreibung. Hrsg. mit einer Abhandlg. über Wolff v. Heinrich Wuttke. Leipzig 1841. S. 11 u. 129.
 [26] s. Eugen Reichel: Gottsched. I. Berlin 1908. S. 253 f.
 [27] Die pietistischen Langes in Halle bekämpften ihn, aber er fand auch Zustimmung (s. Ludovici-Artikel im "Zedler" Bd. 18, 1738). - Der Artikel "Pietisten" im 28. Bd., 1741, ist sachlich, aber kritisch gehalten.
 [28] In ihr verblieb er auch nach der Arbeit am "Zedler": 1752-56 erschien seine "Eröffnete Akademie der Kaufleute, oder vollständiges Kaufmannslexicon"; 2. verm. u. verb. Ausg. 1767-68; 3. Ausg. unter verändertem Titel, umgearb. v. Johann Christian Schedel, 1797-1801.
 [29] s. Archiv f. Gesch. d. Dt. Buchhandels 14 (1891), S. 198. - Auch Burkhard Menckes Name wird im Zusammenhang mit dem "Zedler" genannt, s. Juntke, S. 27. - Der Artikel des "Zedler" über die "Societät der Deutschen Sprache" im 38. Bd., 1743, Sp. 190-92, erwähnt Gottscheds Verdienste nicht.
 [30] s. Eugen Reichel: Gottsched. II. 1912. S. 435 ff.; Erich Lichtenstein: Gottscheds Ausgabe von Bayles Dictionaire. Heidelberg 1915 = Beiträge z. neueren Litgesch. N. F. 8.; Philipp August Becker: Gottsched, Bayle und die Enzyklopädie. In: Beiträge z. dt. Bildungsgesch. Festschrift z. 200-Jahrfeier d. Deutschen Gesellschaft in Leipzig, 1727-1927 (= Mitt. d. Dt. Ges. z. Erforschg. d. Vaterländ. Sprache u. Altertümer in Leipzig. 12), 1927, S. 94-108.
 [31] Zischka: Index lexicorum. S. XL.
 [32] Zischka: Index lexicorum. S. XXXIX.
 [33] s. ADB 44, 1898, S. 742.




Querverweis: Die Zedleriana enthalten eine von Christof J. Heymann verfasste Rezension dieses Aufsatzes.


* Grundlage dieser digitalen Fassung:

Blühm, Elger: Johann Heinrich Zedler und sein Lexikon, in: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 7 (1962), S. 184-200.

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